
Von Dr. Anne-Katrein Becker
Von Ziesar über Brandenburg zur Lady Agnes in Stölln
Es war wieder spannend, niemand außer Dr. Hinderlich wusste, wohin die „Fahrt ins Blaue“ an diesem 11. Mai gehen sollte. Nach kurzer Busfahrt begrüßte Dr. Hinderlich alle Teilnehmer und lüftete das lang gehegte Geheimnis: Unsere erste Station war die 948 erstmals erwähnte Burg Ziesar, eine der wenigen erhaltenen Bischofsresidenzen in Brandenburg.
Wie wir bei der Besichtigung des Museums erfuhren, wurde die Burg schon Anfang des 19. Jahrhunderts an private Besitzer verkauft und von 1917 bis 1949 gehörte sie einem Rittergutsbesitzer. Nach dem zweiten Weltkrieg kamen hier Flüchtlinge unter und von 1955 bis 1993 beherbergte das imposante Gebäude ein Schulinternat der Oberschule Ziesar.
Auch unser Urania-Vorsitzender Dr. Hinderlich verbrachte seine Oberschulzeit in diesem Internat, für das die Eltern der Kinder monatlich 42 DDR-Mark zahlen mussten. Wer das Geld nicht hatte – wie die Eltern von Dr. Hinderlich - erhielt vom Staat ein Stipendium von 60 DDR-Mark, also sogar noch Taschengeld dazu. Wir besichtigten auch die Burgkapelle mit den beeindruckenden Wandmalereien, die als „Kunstdenkmal von europäischem Rang“ gilt.
Auf dem Burghof – inzwischen war es Mittag – hatten dann fleißige Urania-Mitarbeiter ein zünftiges Picknick vorbereitet und alle stärkten sich mit Kartoffelsalat, Würstchen, Obst und diversen Getränken.
Weiter ging es ins über 800jährige Brandenburg an der Havel mit seiner einst berühmten Industriegeschichte – vom ehemaligen Stahlwerk ist jedoch fast nur noch das Museum erhalten.


Von der Stadtführerin erfuhren wir, dass heute 72.000 Einwohner in der „Wiege der Mark“ leben, der Stadt mit zehn natürlichen Seen und dem 68 Meter hohen Marienberg. Wir bewunderten den Roland am Rathaus aus dem 15. Jahrhundert. Eine Kopie von ihm steht übrigens in Berlin am Märkischen Museum.
Am Dom stiegen wir aus und besichtigten das mittelalterliche Bauwerk. Natürlich sahen wir auf den Wegen auch mehrere Plastiken der „Waldmöpse“, die auf den einstigen Sohn der Stadt – Loriot – zurückgehen. Auch von Fritze Bollmann erfuhren wir, die Stadtführerin begann sogar das Lied zu singen und Viele aus unserem Bus sangen kräftig mit.
Allerdings hat diese Stadt auch eine traurige Geschichte: Brandenburg war in der Zeit des Faschismus berüchtigt für das Zuchthaus, das neben Plötzensee zu jener Zeit die größte Hinrichtungsstätte Deutschlands war.
2.700 Todesurteile wurden dort vollstreckt; zu den Opfern gehörten die Widerstandskämpfer Werner Seelenbinder, Anton Saefkow und Bernhard Bästlein. In Brandenburg hatten die Faschisten begonnen, Menschen in Gaskammern umzubringen; hier wurde das berüchtigte Zyklon B an Menschen getestet. Von Januar bis Oktober 1940 wurden in dieser Stadt 9000 Männer, Frauen und Kinder Opfer der Euthanasie-Verbrechen.
Weiter ging die Fahrt nach Stölln, dem ältesten Flugplatz der Welt; hier führte Otto Lilienthal von 1863-1896 seine Flugversuche aus. Leider kam er hier auch ums Leben. Ein Gedenkstein erinnert daran. Stölln hat auch andere Fluggeschichte geschrieben: Im Oktober 1989 landete der Interflug-Kapitän Heinz-Dieter Kallenbach eine Iljuschin IL 62 auf der Ackerpiste des Ortes. Dieser Flug ging inzwischen als einzigartige Leistung ins Guinness-Buch der Rekorde ein.
In dem Flugzeug ist heute ein Museum eingerichtet, in dem Original-Gegenstände der Interflug (Fluggesellschaft der DDR) ausgestellt sind: Kleidung von Stewardessen und Piloten, Servierwagen oder auch die kleinen Kosmetiktäschchen, die jeder Gast auf längeren Flügen bekam. Im vorderen Teil der Maschine befindet sich heute ein Standesamt, und wie uns berichtet wurde, kommen Paare aus der ganzen Welt, um sich in diesem besonderen Ambiente trauen zu lassen. Das Flugzeug wurde übrigens nach der Frau von Otto Lilienthal benannt: „Lady Agnes“.
Mit Kaffee und Kuchen vor der I1L 62 ging ein ereignisreicher, äußerst interessanter Tag zu Ende.
Ein herzliches Dankeschön an Dr. Hinderlich für diese fantastische „Fahrt ins Blaue.“